Die Kraft von 100 Yen – Larp in Japan
Vortrag zu Larp und die Kraft von 100 Yen in Japan, 2. EAJS Japan-Konferenz, Kobe, 24. September 2016, 17:15.
Die Geschichte des Larps in Japan reicht kaum weiter zurück als die späten 2000er und als Praxis erfuhr es erst um 2012 größere Aufmerksamkeit, als Nico Stahlberg und Sugiura Nobutaka ihre angepasste und kommentiere Übersetzung von DragonSys ins Japanische veröffentlichten.
So jung wie Fantasy- und Sci-Fi-Larp in Japan ist, sieht es sich mit einer Reihe an materiellen Einschränkungen konfrontiert, von denen eine die tatsächlich oder gefühlt beschränkte Zugänglichkeit von Raum selbst darstellt — Japans größte Larp-Gruppe trifft sich in einem Gemeindezentrum und nur selten im Wald, geschweige denn auf einem Campingplatz oder in einem Schloss. Des Weiteren ist auch die Verfügbarkeit von den in Europa üblichen Larp-Utensilien beschränkt, allen voran Latexwaffen, aber auch mittelalterliche Kleidung.
Japans Larper haben jedoch Zugang zu einer außergewöhnlichen Quelle für Ausrüstung: 100-Yen-Shops (hyaku-en-kinitsu-ten, oder kurz, hyakkin). Diese Geschäfte bieten eine breite Vielfalt an Produkten an, die von Küchenutensilien und Briefpapier, über Kleidung und Toilettenartikel, zu Speisen und Getränken reichen — die meisten dieser Waren sind von annehmbarer bis guter Qualität und werden für 100 Yen (ca. 0,75 EUR) verkauft. Unter diesen Produkten finden Larper auch eine Fülle an ihrer Profession angemessenem “Zeug”: metallene Anhänger, mittelalterlich wirkendender Schmuck, Steampunk-mäßige Uhren, Apothekergläser, Masken, Kerzen, Räucherwerk und mehr.
In Anlehnung an Japans erste „How-to-larp“ Publikationen diskutiert dieser Beitrag die Entwicklung und den aktuellen Stand von Larp in Japan: Wie kam Fantasy-Larp “im europäischen Stil” nach Japan? Wie wurde diese Praxis an die lokalen Gegebenheiten angepasst? Welches Verhältnis besteht zu Geschwisterpraktiken wie Cosplay (Verkleiden) und Pen & Paper Rollenspielen? Der Beitrag analysiert die Wege der Aneignung einschließlich der diskursiven und materiellen Einschränkungen, mit denen die Praktiker verflochten sind.
Allerdings stellt dieser Beitrag den subjektiven und tatsächlich erfahrenen Einschränkungen auch Möglichkeiten gegenüber. Es werden die Unterschiede aufgezeigt, die kleine (und große) Gegenstände im Wert von nur 100 Yen in dem Praxis-Netzwerk Live-Rollenspiel machen können. Konzeptionalisiert man Larp als ein Netzwerk aus heterogenen menschlichen und nicht-menschlichen Elementen, so kennzeichnet diese Praxis in Japan weniger eine irgendwie besondere “Japanizität”. Sie nimmt vielmehr durch das Nachzeichnen der Verbindungen zwischen diesen verschiedenen Elementen Gestalt an. Fantasy-Larp im “japanischen Stil” kombiniert “globale” Elemente des Larp mit “lokalen” Materialien, so dass die Praxis (wiederholt) neu zusammengesetzt wird.
Schlagworte: 100-Yen-Shops, Aneignung, Heterogene Netzwerke, Japan, Materielle Einschränkungen.
Basierend auf: Kamm, Björn-Ole. 2015. “Die Kraft von nur 100 Yen – Larp in Japan.” In LARP: Zeug. Aufsatzsammlung Zum Mittelpunkt 2015, Rafael Bienia und Gerke Schluckmann (Hrsg.), 17–36. Braunschweig: Zauberfeder Verlag.